Da unser Zug erst kurz vor 11:00 abfahren sollte, hatten wir noch Zeit zu einer weiteren Besichtigung:
Wir fuhren zum Trommelturm auf halbem Weg zwischen Glockenturm und Westtor und wanderten durch einen teil des Moslemviertels der Stadt zur Großem Moschee Qingzhen-si (9:20-9:55). Sie steht im Zentrum des Wohnbereichs der islamischen Hui-Minorität und ist als Gründung des Jahres 742 die älteste auf chinesischem Boden.
Architektonisch bildet sie ein Kuriosum der Baukunst der Anhänger des Propheten: Eingangstore, Eingangspavillon (der älteste Bauteil der Anlage aus dem 11. JH), Reinigungspavillon - hier Phönixpavillon genannt - im Haupthof und die momentan in Renovierung befindliche Bethalle (mit nach Westen gerichteter Qibla-Mauer, in deren Mitte die Mihrab-Gebetsnische liegt) mit geschwungenen Dächern.
Das Minarett als dreistöckige Pagode in chinesischem Stil sowie zwei steinerne chinesische Ehrentore - ein großes vor dem Vorhof, ein kleineres im Haupthof. Überraschend wirken hier die sonst selbstverständlichen Schriftbänder in der Sprache Allahs und seines Propheten, die den, der die Moschee verläßt, grüßen; wer die Moschee betritt, sieht sich chinesischen Schriftbändern gegenübergestellt.
So gerne wir und auf dem Rückweg zum Bus an diesem oder jenem Verkaufsstand aufgehalten hätten: Wir mußten uns beeilen, um eine halbe Stunde vor Abfahrt des Zuges noch am Bahnhof anzukommen: Glücklicherweise war der Verkehr nicht allzu dicht, so dass wir bereits um 10:15 am Bahnhofsvorplatz waren und uns den Weg durch das Menschengewühl zur Halle und zum Bahnsteig bahnen konnten.
Um 10:52 setzte sich der Zug in Bewegung, in dessen etwas heruntergekommenen 6. Waggon, einem Schlafwagen, wir unseren Platz zugewiesen bekamen. Da sich das Wetter gegenüber dem Vortag entscheidend gebessert hatte, waren wir guten Muts und erwarteten die angekündigte abwechslungsreiche Landschaft des "Gelben Chinas" mit Lößboden.
Gelb waren jedoch nur die Steilhänge der Lößberge und die ihnen entströmenden Bäche und Flüsse, die sich im Bett des Wei vereinigten und schließlich in den Huanhe ergießen sollten. Ansonten war das Land vom Grün der z.T. in Terrassen angelegten Felder geprägt. Ab Weinan erhob sich zu unserer Rechten in anwachsendem Maß das Gebirgsmassiv des Hua-shan, dessen steile Felswände wir während des sehr köstlichen Mittagessens (11:55-12:35) im Speisewagen passierten.
Nachdem wir an den Felswänden vorüber waren, öffnete sich links von uns der Blick auf das Knie des Gelben Flusses, das dessen Richtungsänderung nach Osten markiert.
An der Landschaft in ihrer Vielfältigkeit änderte sich jedoch nichts: Lößberge, steile Lößhänge, in die vielfach Wohnhöhlen gearbeitet waren, Felder Dörfer und Städte lösten sich wie bunte Perlen an einer langen Kette ab, sodass die Strecke zu keiner Zeit langweilig war, obwohl die Fahrt nach dem Mittagessen noch fast sieben Stunden dauerte. In Anbetracht der späten Ankunft in Luoyang organisierte Herr Dong für uns - etwas voreilig, wie sich herausstellen sollte - das Abendessen im Zug
Um 19:17 hielt der Zug im Bahnhof von Luoyang, wo wir von der Spanisch und etwas Englisch sprechenden Ortsführerin Frau Li empfangen wurden. Sie machte uns mit dem Busfahrer Sung bekannt, der uns dann zum Freundschaftshotel brachte (Ankunft 19:40). Hier bezogen wir in dem alten Trakt die bestens renovierten Zimmer und sollten das für uns vorbereitete Abendessen einnehmen. Als sich herausstellte, dass wir dieses bereits im Zug zu uns genommen hatten, waren wir auf das verständnisvolle Entgegenkommen der Restaurant-Chefin angewiesen.
Luoyang, nicht erst ab der Kaiserzeit ein Zentrum der chinesischen Kultur, war entsprechend zahlreicher Fundplätze in näherer und entfernterer Umgebung auch schon in neolithischer Zeit besiedelt - ein wichtiger Zweig der Yangshao-Kultur (6.-3. Jahrtausend v. Chr.). Unter verschiedenen Namen wurde Luoyang in historischer Zeit ab 770 v. Chr. im Wechsel mit Xi´an Hauptstadt und kultureller Mittelpunkt von neun Dynastien und damit ein ernsthafter Rivale des westlichen Kulturzentrums: unter den Herrschern der Östlichen Zhou (770-221 v. Chr), der Östlichen Han (26-220 n. Chr.), der Wei (220-2266), der Westlichen Jin (266-313), der Nördlichen Wei (385-557), der Sui (581-618), de Wu Zhou und der Späteren Liang und Tang (bis 960). Hier war der östliche Endpunkt der Seidenstraße, hier wurde das Papier durch Tai-Luan erfunden, hier fand der Buddhismus seine erste Heimat in China, hier lebten die Philosophen, Dichter und Maler.
Heute ist Luoyang eines der wichtigsten Industriezentren - hier arbeiten die erste Traktorenfabrik und die größte Kugellagerfabrik Chinas - und neben Zhengzhou, der Hauptstadt der Provinz Henan, mit 1,3 Mill. Einwohnern die zweitbedeutendste Stadt der Provinz.
Die Lungmen-Grotten, die wir zwischen 9:00 und 11:10 besichtigten, sind eine bedeutender Hinweis auf die große Rolle Luoyangs in der Geschichte Nordchinas im 1. Jahrtausend : Neben Dunhuang und Datong/Yungang ist die Grottenanlage die größter der buddhistischen Mönche in China. Gemäß indischer Tradition haben sich die Meditationsverpflichteten und die Stille suchenden Mönche abseits vom Getümmel des Herrschaftszenrums (ca. 16 km südlich von Luoyang) ihre Eremitenhöhlen und Anbetungsstätten in eine steile Kalksteinfelswand vornehmlich über dem Westufer des Yi-Flusses gearbeitet. Ihr Werk besteht aus 1352 Grotten und 750 Nischen mit 97.000 Skulpturen und Reliefs und 3600 Inschriften an der 1000 m langen Felswand und wurde bereits Ende des 5. Jh's durchgeführt. Ungeachtet späterer Erweiterungen und Ergänzungen (meist aus der Tang-Zeit) liegt hier also eines der frühesten und instruktivsten Beispiele buddhistischer Mythologie und Ikonographie Chinas vor.
Bei unserem Rundgang wanderten wir in nord-südlicher Richtung von Höhle zu Höhle - Treppen erleichtern dem heutigen Besucher den Zugang - und betrachteten viele Details. Dabei faszinierten allerlei Besonderheiten frühbuddhistischer Kunst im Vergleich mit der Zentralasiens und Indiens. Zu einigen besonders eindrucks-vollen Höhlen:
1.) Qianxi-Höhle mit der übergroßen Amitabha-Buddha-Figur, flankiert von Ananda und Kashyapa, zwei Bodhisattvas und Himmelswächtern aus der Tang-Zeit.
2.)Binyang-Höhlen-Komplex bestehend aus drei Höhlen, deren mittlere in der Sui-Zeit (581-618) fertiggestellt wurde, deren rechte in der Sui-Zeit begonnen und in der Tang-Zeit (618-906) abgeschlossen wurde, und deren linke aus der Tang-Zeit stammt - besonders kann man dies an den Buddha-Figuren sehen, die die typischen Kunst-merkmale der Zeit (z.B. das "Dreifachkinn") aufweisen. Über den überdimensionalen Figuren zeigen Strahlenglanz und Himmel sogar noch Reste der ursprünglichen Bemalung.
3.) Konkubinen-Höhle, die die unvollendeten Figuren aus der Tang-Zeit aufweisen, weil die fertige Zentralfigur weibliche Gesichtszüge hat, nimmt man an, dass die Höhle von Konkubinen des Kaiserhofs in Auftrag gegeben wurde.
4.) Lotusblüten-Höhle, über deren Buddha-Figur die Höhlenkuppel eine Lotusblüte schmückt, aus der Nördlichen Wei-Zeit (Ende 6. Jh).
5. Fengxian-Tempel, die größte Grotte (aus der Tang-Zeit), der ursprünglich mit einem ausladenden Dach versehen war - an der Rückwand befindet sich die übliche Figurengruppe: in der Mitte der meditierende Buddha (wegen seiner weiblichen Gesichtszüge wird angenommen, dass die Höhle von der Kaiserin in Auftrag gegeben wurde, so dass Künstler ihre Gesichtszüge wiedergegeben hat), links und rechts die Buddha-Schüler Ananda und Kasyapa, daneben in den Ecken je ein Bodhisattva, jeweils davor schließlich ein Himmelskönig und ein Wächter.
6.) Guyang-Höhle, die älteste erhaltene von 495, deren Inschriften aus der Nördlichen Wei-Zeit stammen.
7.) Yaofang-Höhle, die in der Nördlichen Wei-Zeit begonnen, aber erst in der Tang-Zeit vollendet wurde, bietet 140 Rezepte gegen diverse Krankheiten, so dass sie als ein wichtiges Dokument für die Geschichte der traditionellen Medizin gilt.
Nach einer kurzen Erfrischungspause fuhren wir auf das Ostufer des Yi-Flusses und genossen zum Abschied den einprägsamen Panorama-Blick auf die mit Grotten und Nischen übersäte Westwand (11:25-11:35)
In einem Restaurant, das in den Räumen eines ehemaligen Tempels hoch über dem Ostufer des Yi-Flusses eingerichtet wurde, bekamen wir ein sehr gutes Mittagessen serviert (11:50-12:50).
Nachmittags weitere Besichtigungen im Umkreis von Luoyang:
1.) Baima-Tempel - "Weiße-Pferde-Tempel" - (13:30-14:30): Kurz vor der Zeitenwende breitete sich der Buddhismus aus dem Industal nach Zentralasien aus und wurde über die Seidenstraße weiter nach Osten übermittelt. Hier erreichte seine Kunde das chinesische Herrschaftszentrum Luoyang kurz nach der Zeitenwende. Der damalige Herrscher Yongping fand sich 68 n. Chr. bereit, die westliche Lehre zu fördern und wies den ersten beiden Missionaren aus Indien einen ruhigen Ort wenige Kilometer östlich vor den Toren der Hauptstadt zu; da sie mit buddhistischen Sutra-Texten der Sage nach auf Schimmeln ankamen erhielten Tempel und Kloster den Namen "Weiße Pferde" - vor dem Haupttor stehen die alten Skulpturen aus Stein (für ein Erinne- rungsfoto kann man sich heute übrigens auf einen hier bereitgestellten lebendigen Schimmel setzen).
Unser Weg durch die Anlage, deren heutige Bauten aus dem 10.Jh. und der Ming-Zeit stammen:
Das Südtor mit den drei Bögen führt in einen bepflanzten Vorhof mit Eingangshalle (die vier Himmelswächter flankieren den Maitreia-Buddha), hinter der der Haupthof liegt (in der Mitte ein bronzener Weihrauchständer aus der Ming-Zeit), am Ende des Hofs dann die Haupthalle mit einer lehrenden Buddha-Figur, direkt neben ihr Abbilder der beiden ersten Missionare als Mönche, neben diesen wiederum je eine Buddhafigur für den vergangenen und zukünf-tigen Äon; an den Seitenwänden stehen je neun Lohan-Skulpturen.
Die dritte Halle beherbergt eine stehende Buddha-Figur mit der Handhaltung des Entgegennehmens - darum wir diese Figur auch der "Todes-Buddha" genannt, der sich der verscheidenden Gläubigen annimmt. Das Herzstück der Anlage ist jedoch die mit Hallen umbaute Kuppe eines künstlich aufgeschütteten Hügels: rechts und links vom Eingang je eine Halle zu Ehren der beiden Missionare, am Kopf vorgelagert wiederum eine Bethalle mit den bekannten fünf Figuren auf dem Altar; vor der Halle stehen vor einem Brunnen zwei Zypressen aus der Gründungszeit des Tempels die Buddhafigur in der Bethalle ist übrigens der mit einer fünfzackigen Krone geschmückte Varosana Buddha.
2.) Qiyun-Pagode (14:35-14:40): Die Spät-Tang-Zeitliche Pagode, die in einem gesonderten Areal steht, aber zum Baima-Tempel gehört, hat die typische quadratische Basis und weist 15 vorspringende Dächer auf.
3.) Ausflug zum Huanghe (14:40-16:36): Zur Entlastung des besichtigungsintensiven Tages unternahmen wir den anregenden und landschaftlich eindrucksvollen Ausflug in den Norden Luoyangs an den Gelben Fluß, der hier ca. 45 km vom Stadtzentrum entfernt ist.
Wir durchquerten eine landwirtschaftlich reich genutzte Hügellandschaft mit zahlreichen Grabtumuli zur Linken und zur Rechten der Straße, in denen Herrscher und Magnaten aus Luoyang zu allen alten Zeiten ihre letzte Ruhe fanden - bei den Untersuchungen dieser Tumuli ergab sich im Laufe der letzten Jahre, dass die meisten von ihnen schon vor Zeiten durch Grabräuber heimgesucht und geplündert worden waren. Bald öffnete sich vor uns das weite Tal des Huanghe, den hier eine in den 60-iger Jahren erbaute, 3 km lange Brücke überspannt - eine der Hauptverbindungen zwischen dem Nord- und dem Südufer des Stroms. Vor der Brücke hielt unser Bus an, um uns einen Spaziergang in Richtung Flußmitte zu ermöglichen. (15:20-15:50). Da der Strom reichlich Wasser und viel Schlamm mit sich führte, war seine Farbe besonders Braun(-Gelb).
4.) Ausführlicher Bummel durch die Gassen der Altstadt Luoyangs nach unserer Rückkehr vom Gelben Fluß (16:35-17:30).
Wieder im Hotel angekommen, konnten wir uns etwas erfrischen und bekamen dort unser Abendbrot (18:00-19:00)
Beim Verlassen des Hotels um 19:30 befiel die meisten von uns eine große Unsicherheit hinsichtlich dessen, was uns während der bevorstehenden, über 18-stündigen Zugfahrt nach Suzhou erwartet. Drum deckten wir uns mit (alkoholischen) Getränken aller Art und Lebensmitteln ein, als galt es eine Expedition zu überstehen - für erstere bestand guter Grund, für letztere dagegen weniger...
Als der Lanzhou-Shanghai-Express vor uns anhielt, verteilten wir uns nach einem ausgeklügelten Plan auf die uns zustehenden fünfeinhalb Viererabteile in den Wagen 5 und 6 und fühlten uns vom Schicksal eingeholt, als sich der Zug um 20:25 in Bewegung setzte. Unsere gelockerte Laune sollte aber schnell zurückkehren, als wir wahrnahmen, dass alles doch recht normal vonstatten ging. Wie viele Stationen die einzelnen Abteile noch in wachem Zustand mitbekamen, ist wohl kaum mehr auszumachen. Bekannt ist, dass jedenfalls eines noch das Morgengrauen erlebte.
letzte Änderung: 27.11.2019 · Copyright © 2003 - 2024 by Angelika Rosenzweig